Alkohol, der letzte Marxist?

Dieser Beitrag ist keine Anleitung dazu wie man den Alkoholkonsum einschränken oder abbrechen kann. Es soll aber auch keine Fürsprache für den Konsum alkoholhaltiger Getränke sein. Es ist eine Ansammlung an Überlegungen die mir in den Sinn gekommen sind als ich heute Vormittag in der Straßenbahn eine Beobachtung gemacht habe.

Ich fahre mit der 49er Richtung Hütteldorf. Ein bärtiger Mann mittleren Alters brüllt in meine Richtung: „Entschuldigen Sie… Entschuldigens… Haaaallooo…“. Ich nehme meine Sonnenbrille ab und wende mich ihm zu. In dem Moment, leicht peinlich berührt, fragt er: „Ich habe ein Problem. Ich hab kein Geld mehr. Haben Sie vielleicht einen Euro für mich?“. Leicht perplex überlege ich kurz und entgegne: „Leider habe ich kein Kleingeld eingesteckt, tut mir leid.“. Darauf schnaubt der Mann, nimmt einen Schluck aus seinem Dosenbier und blickt, während die Straßenbahn an der Beingasse hält, in Richtung Ausgang um die nächsten Zugestiegenen zu fragen.

Da kam mir, an dieser Stelle werden sich nun einige LeserInnen vermutlich brüskieren, in den Sinn das Alkohol ein letzter oder fast einziger Marxist der Gesellschaft ist. Er ist klassenlos. Billig oder teuer. Jung oder alt. In Glasflaschen oder Tetra-Packs. Gleichzeit eine Ausgeburt des Kapitalismus. Frönt und feiert er den kapitalistischen Aufschwung und Sieg. In derselben Minute trauert und vergiftet er das Ego der armen und verlorenen Seelen. Ein wandelbares, verhurtes Erzeugnis.

Er reist Schicksale in den Abgrund. Gleichsam ist es Paradox, dass man mit Ihm Erfolge feiert. Sportler die monatelang auf den Konsum von Alkohol verzichten, ihren Körper stählen und abstinent und gesund leben, lassen sich im Falle ihres Triumphes mit Champagner- oder Bierduschen feiern.
Für manch ein Schicksal ist das erste Bier mit 13 Jahren der Beginn einer Negativspirale. Mit 18 ist man dem Getränk hörig, verliert den angelernten Job, schlittert kontinuierlich in die Armut und landet auf der Straße. Zwanzig Meter weiter im 26.Stock begießen sich Banker bis zur Unverständlichkeit mit 16 Jahre altem Whiskey um ihren Milliardendeal zu zelebrieren.

Verrückt. Gleichwohl wir uns in österreichischer Manier wie ein verdursteter Dromedar jedes zweite Wochenende mit Alkoholika die Sinne benebeln, ärgert und stört es uns, wenn wir von einem betrunkenem Herren mittleren Alters nach einem Euro angeschnorrt werden. Wie sehr wir doch den Alkohol bekämpfen und ihm in Aussendungen den Kampf ansagen, gibt’s bei der nächsten Gelegenheit ein Achterl in Ehren. Den wie heißt es doch im Volksmund: Das kann keiner verwehren.

Da haben wir es erneut. Wie tief verankert der Rausch in uns drin ist. Es gibt Sprüche, geflügelte Worte, Trinksprüche, Kabarettprogramme über das Trinken und unzähliges mehr. Wie viele sich wohl aus ihren Nachtlagern mit einem dröhnenden Kopf erheben, während diese Zeilen eines nüchternen Geistes verfasst werden. Ich schreibe mich in Ekstase.

Wohin führt es? Es scheint als gebe es kein richtig oder falsch? Kein gut oder schlecht. Es verwischt und wird unkenntlich. Zumindest scheint es so. Natürlich muss ich an dieser Stelle betonen, dass dies nur ein verschriftlichter Auszug meiner oftmals wirren Gedankengänge ist. Es ist eine kurze unbedachte unreflektierte Überlegung. Die Implikationen des Alkoholes sind weitreichender. Sie sind unvorstellbar ausdifferenziert. Treten in verschiedensten Implikationen auf.

Bemüht man einen wissenschaftlicheren Blick auf dieses Phänomen, dürfte man sich vermutlich keiner soziologisch-gesellschaftlichen Blickweise bedienen. Diese, wie man vielleicht gesehen hat, fällt schwer. Man kann dem Alkohol nicht mit einer gesellschaftsanalytischen Sichtweise begegnen. Zu verwirrt scheint es. Zu unergründbar. Zu Paradox. Man verläuft sich.

Um das Phänomen in irgendeiner Form zu beurteilen, kann man vermutlich nur eine medizinische Betrachtungsweise anerkennen. Alkohol, dies Lehren uns Mediziner deren Erkenntnisse vermutlich genauso alt sind wie das Aufkommen alkoholhaltiger Getränke, kann durch übermäßigen Konsum unzählige Krankheiten hervorrufen. Um einige wenige zu nennen, Bluthochdruck, Gastritis, Pankreatitis, Schädigungen des Gehirns, Herzmuskel-Erkrankungen, Leberschädigungen und viele Weitere. Ergo kann man sagen, dass aus medizinischer Sicht nichts für dieses Gift sprechen kann.

Anhand dessen könnte man womöglich erklären, dass der Mensch nicht immer rational handelt. Er kann es auch nicht. Zu sehr sind wir humanoiden Geschöpfe von Trieben und Emotionen geleitet in unserem Denken und Handeln. Anders wäre ein Alkohol trinkender Arzt wohl nicht zu erklären, oder doch?

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Sag mir deine Meinung oder diskutiere mit den anderen Lesern über dieses Thema.
Die Pflichtfelder sind entsprechend markiert. Dein erter Kommentar wird vom Autor geprüft und freigeschaltet. Er ist also eventuell nicht gleich sichtbar.

gravatar-Vinzenz Kokot

Der Alkoholiker ist nur ein Kranker der mehr "trinkt" als sein behandelnder Arzt! "Pijanc je le bolnik, ki pije več kot pa zdravnik !!!" aus einem Liedtext von Andrej Šifrer